Das war’s  aus Wellington

10. Das wars aus Wellington.jpg

Hab und Gut ist ausgemistet, inventarisiert, in Seefracht, Luftfracht und Handgepäck aussortiert und gepackt, Boot und Autos verkauft. Der Container steht auf dem Lastwagen zum Abtransport bereit. In wenigen Tagen geht seine lange Reise über die Meere bis nach Bremerhaven los. Geht alles nach Plan, wird er in drei Monaten sein Ziel erreichen. Die Koffer stehen aufgereiht im Hauseingang bereit. Sie werden zuletzt gepackt. 1.25m3 Luftfracht plus 10 Koffer, das ist unser Besitz für die nächsten  Monate. „Für mich die beste Zeit im Leben,“ meint Marion, „wenn der Besitz auf ein paar Koffer reduziert ist. Dann fühle ich mich richtig frei.“ Demnach fühlt sich Marion bereits zum 17-mal oder im Schnitt alle 3 Jahre wieder richtig frei. Sie ist, im Gegensatz zu mir, als Zigeunerin geboren. Ich bin, in den 25 Jahren, die wir uns kennen, zwangsläufig zu einem geworden. Für unser Nomadenleben hat unser Gärtner Marty nur ein Kopfschütteln übrig. „Isn’t it tiring to move every few years somewhere else?“, ist es nicht mühsam, alle paar Jahre weiter zu ziehen? Er sieht uns nicht gerne gehen. Ihm fällt es offensichtlich schwer, uns Adieu zu sagen. Er komme, sagt er, morgen nochmals vorbei. Wetten das macht er nicht? Ich kann’s verstehen.

Marion‘s Beruf fordert von uns allen einen Preis, keine Frage. Die ersten Monate hier in Wellington waren hart. Wir kamen vom europäischen  Sommer in den südpazifischen Winter. In meiner (selektiven) Erinnerung hat es Monate nur geregnet und gestürmt. Enten schwammen auf dem Rasen, das Regenwasser konnte nicht mehr abfliessen so sehr war die Erde durchtränkt. Wegen der Renovation unseres Hauses verbrachten wir die Wintermonate im Gästehaus, zu fünft in zwei Zimmern. Schulisch wurden unsere Kinder, Kasimir damals 9-, Janina 7- und Nikolai 5-jährig, ins kalte Wasser geworfen. Ohne ein Wort Englisch, dafür mit Schuluniform. Janina im „Nonnenkostüm“, die Buben mit Krawatte, Blazer, kurze Hosen mit Kniesocken mussten mitten im neuseeländischen Schuljahr einsteigen. Damals und jetzt bin ich wieder bei unserem Gärtner, damals gab es Momente, in welchen ich mich fragte, warum ich, warum wir uns das antun? Warum ich bloss meinen  Job an den Nagel gehängt habe? Heute, einen Tag vor der Versetzungsreise nach Berlin und fast vier Jahre nachdem wir hier angekommen sind, stelle ich mir diese Frage nicht mehr. Heute denke ich darüber nach, was ich in Berlin vermissen werde. Wellesley College, die Bubenschule in Eastbourne, ganz sicher. Wellesley war ein Glücksfall für unsere beiden Buben, und wenn ich jetzt beim Schreiben an die Abschiedsszene denke, kämpfe ich wieder gegen Tränen an: Als Kasimir an seinem letzten Schultag sein Schulzimmer als erster verlässt, stehen seine Mitschüler hinter ihren Pulten auf und klatschen spontan die Hände. Nicht inszeniert, nicht geplant, von sich aus.

Was sonst wird mir fehlen? Das grosse Haus, der schöne Garten? Ferdinand, unser Strassenkater aus dem Tierheim in Wellington? Nein, der wartet bereits in Zürich bei Nonna Bea auf uns. Erst gestern haben wir mit ihm „geskyped.“ Es geht ihm bestens. Er schnurrt in die Kamera hinein. Fehlen wird mir auch das Meer. Und die grossen Fische, die darin schwimmen. Vor allem, wenn sie am Abend auf dem Speiseteller  liegen. Ja, ich werde gerne an unsere Zeit in Neuseeland  zurück denken. Mich freut‘s, dass auch meine persönliche Bilanz positiv ausfällt. Soll sie auch. Denn das Glas ist immer halb voll, nie halb leer. Und gäbe es nicht auch ein feuchtes Auge beim Adieu und auch auf Wiedersehen sagen – die vier Jahre würden sich leer anfühlen. Nicht alles ist geglückt, nein sicher nicht. Was nicht? Darüber will ich nicht schreiben. In Berlin darf ich wieder bei Null anfangen. Was für ein Privileg! Meinst Du nicht auch, Marty?

Das war’s aus Wellington. Berlin – ich freue mich.

Ich grüsse und zwinkere ihnen mit dem lachenden Auge zu.

Waldemar Krupski