Die Zukunft Afrikas zu Gast

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Es ist die dritte Plastikflasche, die ich innerhalb von ein paar Tagen in unserem Garten auflese. Achtlos wurde sie weggeworfen. Genauso achtlos wohl, wie sie gekauft wurde. Sie, die Wasserflasche, 25cl klein. Glaube ich der Aufschrift, handelt es sich um „Eau Mineral Naturelle des Alpes“, wird produziert in Frankreich und kostet hier im Laden 600 CFA. Das entspricht in etwa einem Schweizer Franken. Oder dem Stundenlohn eines schlecht bezahlten Bauarbeiters hier in Dakar. Weggeworfen wurde die Flasche von unseren Gästen, den Zwillingen William und Brandon, Teilnehmer des Schüler-Basketballturniers unserer Schule. Wohnhaft sind die beiden 17-jährigen in Kamerun. Wir sind eine von vielen Gastfamilien, welche den ca. 200 Spielern und Spielerinnen vier Tage Gastrecht gewähren.

Wie zwei wandelnde Werbesäulen sehen sie aus, als sie am Mittwoch spät abends im Schlepptau von unserem Jüngsten bei uns zu Hause eintreffen. In ihrem Auftritt vergleichbar mit unseren Spielern der Fussball-Nati, einfach ohne Tattoos. Und ohne selbst verdientes Geld, nehme ich mal an. T-Shirt: ein Monatslohn unserer Haushälterin. Schuhe: drei Monatslöhne unseres Gärtners. Shorts: ein Monatslohn einer lokal Angestellten. Rucksack: ein halber Jahreslohn eines Bauarbeiters. Manieren? Keine! Wie zum Teufel kann man Anstand und Respekt lernen, wenn die Eltern nicht einmal die Bedeutung dieser Wörter kennen? Wenn diese Jungen von Kindermädchen erzogen werden, die jeden Tag um ihre Existenz bangen, weil Sohnemann nicht die richtige Schokolade zum Dessert kriegt oder der Strom vom Fernseher gekappt werden muss, weil schon längstens Zeit für‘s Bett ist und niemand auf sie hört.

Nein, nicht nur die Kindermädchen kuschen vor diesem Menschenschlag. Und sie sind auch die letzten, die ich dafür verantwortlichen machen würde. Nein, es sind wir alle. Keine Privatschule hier in Dakar könnte überleben, würde die Schulleitung es wagen, Kinder und Jugendliche lokaler Potentaten aus der Schule zu werfen, weil sie die Leistung nicht bringen oder disziplinarisch auffallen. Oft geht beides einher. Ja, ich war stinkesauer, als mich der eine der Brüder früh morgens warten liess, bis es ihm genehm war, aus der Dusche zu kommen. Und oh nein, es war nicht diplomatisch, wie ich ihn wissen liess, dass er jetzt noch genau drei Minuten Zeit hat, bis er im Auto sitzt. Er hat`s geschafft. Bevor er einsteigen durfte, musste er mir noch kurz zuhören: „Erstens:  Hier bin ich der Boss. Hier wartest du auf mich und nicht umgekehrt. Ich bin nicht dein Chauffeur! Klar?“ - „Yes, Sir“. Zweitens: „Bevor ihr den Kühlschrank öffnet, euch mit Schokolade oder was auch immer bedient, fragt ihr mich. Klar?“ - „Yes“. „Drittens: Zu Abend essen wir gemeinsam am Tisch, und viertens: Wenn euch die Spielregeln hier nicht gefallen, könnt ihr euch eine andere Familie suchen, bevor ich euch rauswerfe. Klar?“ - „Yes, Sir“. So, die Rollenkonfusion ist für die verbleibenden drei Tage geklärt.

Als ich gleichentags von der Schule nach Hause fahre, werde ich von der Gendamerie angehalten und aufgefordert, auf dem Gehsteig zu warten. Ich weiss, was jetzt  kommt. Es passiert mir hier alle paar Tage. Zum Glück kann in diesen Minuten oder manchmal auch Viertel- oder halben Stunde niemand meine Gedanken lesen. Irgend ein ganz wichtiger Mensch, meist männlich, wird jetzt von zehn BMW Motorrädern, fünf Lincoln Limousinen und x PWs,  begleitet von blauen und roten, heulenden Sirenen Richtung Regierungspalast hofiert. Die Senegalesen erdulden mit stoischer Gelassenheit, dass sie wegen diesem völlig überflüssigen Konvoi eine halbe Stunde bei Stillstand im Auto sitzen müssen. Mir gelingt diese stoische Haltung leider nicht. Im Gegenteil, doch die Gedanken behalte ich besser bei mir.  Wissen Sie, was mich wirklich traurig und hoffnungslos stimmt? William und Brandon, die bei uns zuhause gerade ihren Plastikabfall im Garten verteilten, sind ein Teil von Afrikas Elite von morgen!

Waldemar Krupski

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