Dienstagabend, 18.50 Uhr. Das Abendessen steht bereit. In 10 Minuten muss ich in Janinas Schule sein. Ich bin spät dran. Ich bin immer spät dran. „ Kinder, bin weg. Mama sollte jede Sekunde hier sein, dann könnt ihr zusammen Essen.“, sage es, springe aus dem Haus und schwinge mich auf das Velo. Punkt sieben bin ich in der Schule. Die Informationsveranstaltung zum kommenden Schullager beginnt pünktlich. Nach 30 Minuten ist alles gesagt, offene Fragen sind beantwortet. Es bleibt Zeit, gemeinsam etwas zu trinken und sich mit den anderen Vätern und Müttern zu unterhalten. Nein, mir ist nichts Besonderes aufgefallen. Niemand hat mich gemustert, niemand hat mich komisch angeschaut und schon gar nicht hat mich jemand darauf angesprochen. Ist es wirklich niemandem aufgefallen? Oder wurde es von den andern Eltern bemerkt, aber als unbedeutend, normal taxiert? Ich weiss die Antwort nicht. Jedenfalls bin ich peinlich berührt, als ich beim nach Hause pedalen feststelle, dass ich erstens mit den Hausfinken unterwegs bin und zweitens mein grosser Zeh ungeniert und protzig aus dem kaputten Socken lugt!
Szenewechsel. Samstagmorgen 06.45 Uhr. Das Telefon holt mich aus dem Schlaf. Unsere Gäste haben am Bahnhof, welcher zu Fuss von unserem Haus in wenigen Minuten zu erreichen ist, soeben festgestellt, dass ihr Zug am Wochenende nicht verkehrt. „Wie kommen wir jetzt bloss rechtzeitig zum Busterminal in Wellington?“ tönt es gestresst durch das Telefon. „Ich fahre euch!“, sage es, springe aus dem Bett, rein in die Hauschuhe und ab ins Auto. Ehrlich, keine Sekunde habe ich daran gedacht, mein Pyjama mit Strassenkleidern zu wechseln. Erst als ich am Bahnhof aussteige, um mit den Koffern behilflich zu sein, kommt mir der Gedanke, dass es gut ist, dass es noch früh morgens ist, Samstagmorgen. Erstaunte Blicke der Reisenden habe ich nicht bemerkt.
Die Neuseeländer sind bekannt dafür, dass sie entspannt, unkompliziert, unvoreingenommen sind. Dies widerspiegelt sich auch darin, dass es einfach ist, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Man spricht sich mit Vornamen an, sei es in Shorts oder Anzug. Kommen unsere Nachbarn oder deren Kinder bei uns zu Hause vorbei, öffnen sie die Türe, rufen kurz „Hallo“ und schon sind sie im Wohnzimmer oder stehen bei mir in der Küche. Das war bereits so, als wir uns noch kaum kannten. An diese bewundernswerte Unbekümmertheit habe ich mich rasch gewöhnt. Was aber unsere Buben von der Schule nach Hause bringen, daran kann ich mich nicht gewöhnen: Hausaufgabenblätter werden lose in den Schulthek gestopft oder noch einfacher in die Hosentasche gedrückt. Notizen werden dort gemacht, wo es gerade Platz auf einem Zettel hat, ein Lineal wird selten bis nie verwendet. „Schludrig!“ denkt sich da einer, der selbst ein unbefriedigend in Ordnung und Reinlichkeit im Zeugnis hatte. Ordnung und Reinlichkeit war damals Dauerthema bei den Elterngesprächen - nicht so bei unseren Kindern. „Das machen hier alle so.“, versuchen mich Kasimir und Nikolai zu beruhigen, wenn ich mich wieder einmal beschwere.
Übrigens: „Swiss Kiwis Stories“ , eine Video- Produktion der Schweizer Botschaft in Wellington auf YouTube, erzählt Geschichten von aussergewöhnlichen Neuseeländern mit Schweizer Wurzeln. Geschichten von Menschen welchen es gelingt, Stärken aus den beiden verschiedene Kulturen optimal zu verbinden. Sehen sie mehr dazu auf www.youtube.com/swissembassynz
Aus den Frühlingsferien in Auckland grüsst
Waldemar Krupski