Mein Ego und mein Sohn Kasimir

6. mein Ego und mein Sohn.png

Sonntagmorgen 8.40 Uhr. Die halbe Strecke ist bereits hinter mir. Gott sei Dank. Meine Beine fühlen sich heute schwer an. Vielleicht liegt es an den zwei kalten Koteletts von gestern Abend. Zusammen mit dem Butterzopf und Gruyèrerkäse und den drei Espressi von heute früh (?) mögen die schon noch etwas aufliegen. Espresso brauche ich einfach, um den Motor zu starten. Triathlon hin oder her.

Kaum fertig gedacht, sitze ich auf dem Velo.  Da fühle ich mich wohl - meine Lieblingsdisziplin. Der Tachometer zeigt  auf den ersten acht Kilometern sagenhafte 34 km/h Durchschnittgeschwindigkeit an. Ich bin schnell unterwegs, für mich verdammt schnell. Auf der langen Gerade sehe ich ihn, den Wendepunkt, bereits vor mir. Dort ist die Hälfte der Strecke erreicht. Von da an geht’s nur noch zurück. Kann ich das Tempo halten, wird das meine persönliche Bestzeit? Und das ohne Training! Das habe ich dieses Jahr bleiben lassen, weil im letzten Jahr praktisch jedes Training mit einem platten Reifen endete. Meist verursacht durch Altglasscherben, die überall und an jedem Strassenrand liegen.

Angefangen hat meine Triathlon-Karriere vor knapp zwei Jahren. Damals machte ich im Hallenbad die peinliche Erfahrung,  dass Kasimir schwimmend bereits schneller unterwegs war. Da hatte mein Ego Alarm geschlagen. Nein, das ist zu früh. Ich bin viel zu jung, als dass der damals 10 jährige Bub  den Papa abhängt. „Improve your freestyle“ (Verbessere dein Kraul), heisst der Schwimmkurs, den ich zwei Wochen später besuche.  Sechs Herren im mittleren bis fortgeschrittenen Alter und zwei Damen  haben sich für den gleichen Kurs entschieden. Der Coach stellt sich vor, gibt Kursziele vor und dann geht’s los. „Six lenghts to warm up!“, sechs Längen zum  Aufwärmen! ruft er. Und die nicht mehr ganz jungen Damen und Herren schwimmen davon wie Torpedos. Was soll das?, frag ich mich.  Was machen die hier? Die schwimmen ja alle so, dass ich davon nur träumen kann! 25 Meter und  meine Puste ist weg. Wie bitte soll ich 150m Kraul einschwimmen?  Habe ich bei der Kursausschreibung etwas übersehen?  Ich lasse die Stunde über mich ergehen, mache mit so gut ich kann. Die Videoauswertung am Ende des ersten Kursabend lässt keinen Zweifel: „Voldemort,“ sagt der Kursleiter zu mir, „you have the greatest potential to improve!“. Will heissen: Du kannst hier am meisten lernen. Kein Wunder, es waren allesamt  Triathleten. Heute, knapp zwei Jahre später, bin ich schon fast einer von ihnen, schwimme problemlos im Pool 2km Kraul ohne eine Pause.

Zurück zum Wendepunkt: Jetzt geht es noch 9km in die anderer Richtung. Kaum gewendet, sackt die Geschwindigkeit ein. Dieser verdammte Wind! Lautlos, unbemerkt, hat er mir eine sensationelle Zwischenzeit ermöglicht. Und nun auf dem Rückweg erhalte ich dafür die Quittung. 23 Std/km zeigt mein Tachometer an. Ich strample wie ein Irrer. Mehr geht nicht. 170 zeigt die Pulsuhr. Bei 175 folgt der Alarm. Achtung, Achtung: Ego kann zu Herzinfarkt führen!, geht es mir durch den Kopf. Die „Dominion Post“, eine der beiden grossen Tageszeitungen in Neuseeland, hätte eine Titelseite, über die ich mich wenigstens nicht mehr aufregen müsste. Aber so übertrieben entwickelt ist mein Ego nun doch nicht; ich darf mich weiter über die Zeitung nerven.

Letzte Etappe 300 m „Freestyle“. Vor einem Jahr noch meine Angstdisziplin. Heute schwimme ich diese Strecke zwar nicht so schnell wie die Torpedos, aber zügig. Nach 4km Laufen und 18km Velofahren hat sich das Feld verteilt. Ich bin im  Mittelfeld, das Wasser stinkt bereits nach dem Schweiss der Schnelleren. Noch 7 -8  Minuten, und ich habe es geschafft. Ein schönes Erlebnis. Ich freue mich über das Geleistete, auch wenn es, gemäss einer unsportlichen Bekannten von mir, nur ein Babytriathlon war.

Gefreut, viel mehr gefreut hat mich diesen Monat aber ein gemeinsames  Sporterlebnis  mit Kasimir. Auf einem Sonntagsausflug sagt er zu mir: „Papa, ich brauch noch etwas Bewegung. Rennst Du mit mir dem Hutt River entlang Richtung nach Hause?“ Ok, let’s go, sag ich. Knappe 2 ½ Stunden später sind wir zu Hause. Mein I-Phone sagt mir, dass wir 20km weit gejoggt sind. Wir klopfen uns gegenseitig anerkennend die Schultern: „Cool gsi Papi - gratuliere Kasimir.“ Für uns beide ist es das erste Mal, dass wir soweit gelaufen sind. Vielleicht ist der Babytriathlon doch nicht nur für mein Ego gut...

Frühlingsgrüsse aus Wellington schickt

Waldemar