Läck miär, bin ich ä Gluggerä

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Es traf mich völlig unerwartet und somit unvorbereitet. Geschehen diesen Sommer, in der vorletzten Ferienwoche. Genauer am 19. Januar 2014 und sieben Folgetagen. Wie aus dem Nichts eroberte mich dieses höchst unangenehme Gefühl.  Breitete sich in mir aus, schien jede Hirnzelle einzeln mit diesem „Virus“  zu befallen. Heute, ein paar Wochen sind bereits vergangen, schreibe ich darüber. Nutze das Schreiben sozusagen als „therapeutisches Werkzeug  zur Verhinderung einer Posttraumatischen Belastungsstörung.“ Heute ist mir klar: Hätte ich früher, also vor dem 19. Januar, mit Nachdenken begonnen, so hätte ich mir das Schreiben als Therapieform sparen können. Sparen, weil ich eigentlich hätte erahnen können,  ja gar wissen müssen, dass  da etwas Gewöhnungsbedürftiges auf mich zukommt. Aber nein, stattdessen habe ich mich auf die bevorstehende Zeit gefreut.

Der Reihe nach. Es ist Samstagmorgen früh. Treffpunkt Bahnhof Wellington. Während unsere drei Kinder für eine Woche ins „KIWIKAAT“ Lager fahren, sitzt ihre Mutter bereits  im Flugzeug nach Berlin. Auch sie wird erst in einer Woche wieder zu Hause sein. Unsere Kinder kümmert es für einmal nicht, dass Mama auf Dienstreise ist. Sie hüpfen gutgelaunt in den Zug, winken noch kurz und ab geht’s ins Abenteuer. Und ich? Ich stehe vor dem leeren Bahngleis und schwatze mit einem Elternpaar, welches sich ungemein für mich freut, dass ich jetzt eine ganze Woche für mich ganz alleine habe! Schnell weg hier, denke ich, sonst fange ich noch zu heulen an. Peinlich, peinlich. Was jetzt? Soll ich gemütlich in der Stadt einen Kaffee trinken und die Zeitung lesen oder was soll ich mit der neuen Freiheit anfangen? Ich fahre nach Hause. Im Auto spüre ich, wie sich ein riesiger Klumpen in meinem Magen ausbreitet. Zudem erschrecke ich, als ich mich ertappe, wie ich „ Ich fange nie mehr was an einem Sonntag an“ halb pfeife, halb summe. Mäms hatte diese Schallplatte in den 70er Jahren aufgelegt, wenn ihre Stimmung nicht rosig war.  Dass ich diesen Schlager jetzt auch bemühe, gibt mir Anlass zur grossen Sorge um meinen Zustand. „Spinsch eigentlich“ führe ich Selbstgespräche, „wiä blöd wotsch eigentlich nuh tuä? Jetz gasch gah secklä, deh ghats diär schoh wieder besser“. Gesagt, getan. Tut gut, aber den Klumpen in meinem Bauch kann ich nicht wegrennen. Was gäbe ich jetzt dafür, wenn es aus einem Zimmer schriee: „Paaaaa, wo bisch? Paaaa! “. Stattdessen ist es still. Langweilig still. Peter Bichsel hat einst in einem Radiointerview gesagt: „Wer  in seinem Leben nie Langeweile verspürt, hat nicht wirklich gelebt“. Hat er dieses Gefühl der Leere, der Abhängigkeit, der Unzulänglichkeit gemeint? Die Zeit, über Dinge nachzudenken, über welche man gar nicht nachdenken will? Vielleicht. Ich lebe!

„Nein, nein, deine Reaktion ist ganz normal“, meint Norbert, mit dem ich mich an einem Abend in der Bar treffe. „Als meine beiden Kinder ins Internat gingen und ich sie von einem Tag auf den andern nur noch am Wochenende sah, war das anfangs sehr hart für mich“. Norbert war auch Vollzeitvater, ein Berufskollege also, dem ich glauben kann und der mir allen Grund zur Hoffnung gibt. Die Tage vergehen und mit ihnen auch der Klumpen in meinem Bauch. Endlich, - Freitag ist da! Heute Abend hole ich die Kinder am Flughafen in Wellington ab und morgen Samstag Marion. Janina sieht mich zuerst und springt mir  entgegen:  „Papa isch cool gsi im Lager. Säg, dörfet miär ä Donut?“  „ Ja, klar Janina. Hüt chönd iär vo miär ha, was immer iär wend.“ „Ehrlich Papa? Meinsch das im ärnscht? Hesch eppä Langizyt gha nach is, hä?“ „Ja weisch Janina, ich ha ersch i dennä Feriä gmärkt, was für nä Gluggerä ich by“.

Es grüsst aus dem vollzähligen Haus

Waldemar Krupski