Mittags sitzen sie oft so zusammen. Aber jetzt ist es nicht Mittag. Es ist morgens um 9 Uhr, als unser Hauspersonal im Garten die Köpfe zusammensteckt. Heute wird auch nicht gelacht und gekichert, wie ich es sonst gerne und oft höre. Heute ist alles anders.
„Il est décédé“ sagt Tanor, Papa von Mohammed Waldemar zu mir. Er ist gestorben.
Ich kannte ihn nicht, den Verstorbene, der Sohn von unserem Gärtner Diaw. Doch nein, es ist mir nicht entgangen, dass es Diaw nicht gut ging, dass er in den vergangenen Wochen traurig und niedergeschlagen war. Obwohl er mir immer sagte: „Ça va, ça va un peu bien“. Es geht, es geht, es geht so. Als es gar nicht mehr ging, erzählt er mir, dass sein Sohn einen Tumor im Kopf hat. Ça c’est dur, ça c‘est très dur. Ja, das ist schrecklich.
Der Tumor wurde hier in Dakar in irgendeinem Spital entfernt. Das Leid wurde so für ein paar Wochen gelindert, es gab Hoffnung, wenn auch nur für kurze Zeit. Heute Morgen um 8 Uhr ist er im Spital gestorben. Um 14 Uhr sitze ich, zusammen mit unseren Hausangestellten, teils auf Plastikstühlen, teils am Boden, mit 40 vielleicht auch 50 Männern in einem Vorort von Dakar. Ein paar Meter neben uns sitzen halb so viele Frauen im Kreis. Im Zentrum die Mutter des Verstorbenen. Einen Steinwurf weiter weg steht eine Moschee. Ich beobachte etwas verunsichert das Geschehen. Niemand weint. Einige der Männer beten. Andere beschäftigen sich mit ihren Handys. Die Frauen unterhalten sich oder sitzen stumm im Kreis. Der Vater des Verstorbenen setzt sich neben mich. Er bedankt sich, dass ich zusammen mit den Angestellten gekommen bin. Er erzählt mir von seinem Sohn, dessen Name ich bis heute nicht kenne. Ich glaube, er hat ihn auch nie genannt. Für mich ist er sein Sohn. Ein talentierter Basketballspieler. Gross gewachsen. Ein ausgezeichneter Schüler. Sein Sohn, der Träume als Basketballspieler träumte. 17 Jahre jung.
Nach einer guten Stunde des Wartens und Beobachtens stehen wir Männer auf. Bewegen uns Richtung Moschee. Die Frauen verharren sitzend im Kreis. In der Moschee stellen wir uns in Reihen hintereinander. Vor uns liegt der Leichnam in ein Tuch gewickelt am Boden. Der Marabu spricht das Totengebet. Für den frommen Muslim stellt der Tod nicht nur das natürliche Ende, sondern auch den Höhepunkt des Lebens dar. Nach gefühlten 10 Minuten haben wir die Moschee bereits wieder verlassen. Monsieur Diaw bedankt sich noch einmal für mein Kommen, während ich betroffen über seine Schulter schaue und sehe, wie der Leichnam auf einen Pickup geladen wird. Vielleicht ist mein Gesichtsausdruck der Anlass, dass Diaw meine Hand nimmt, die Menge zur Seite bittet und mich zu seinem Sohn bringt. Dieser Moment ist etwas zu viel für mich. Der Höhepunkt des Lebens sieht für mich anders aus und ich kann meine Tränen nicht mehr zurückhalten, im Wissen, das Männertränen hier nicht angebracht sind.
Diaw schliesst mich mit kräftigem Schulterklopfen in seine Arme und weint mit mir.
Und für einen kurzen Moment habe ich das Gefühl, dass wir uns in nichts unterscheiden. Tränen sagen mehr als Worte.
Waldemar Krupski