«Jetzt schalt endlich diese verdammte Playstation aus! Dü bisch ä richtigä Junkie, Nikolai». So hat es vor wenigen Tagen bei uns zu Hause getönt. «Du musst gar nichts sagen, du bist auch ein Junkie» entgegnet der 14-Jährige, der mit 188 cm Körperlänge aussieht wie ein 16-Jähriger und inzwischen auch gerne so vehement diskutiert, wie seine älteren Geschwister. «Hallo, ich bin dein Vater, nicht ein Junkie!» - «Ja, schon, aber du trinkst und rauchst dafür jeden Abend. Und wenn ich ein Playstationjunkie bin, dann bist du ein Zigaretten- und Bierjunkie. Das kannst DU nämlich nicht lassen!»
Gut pariert, mein Sohn, denke ich, denn Unrecht hat er nicht. Und ich sehe vor meinem geistigen Auge meine DNA mit torkelnden und qualmenden X und Y Chromosomen. Sie rufen mir zu: Vorsicht, erhöht suchtgefährdet. Ich fühle mich also gewarnt. Ich spüre auch Nikolais strafende Blicke, sieht er mich abends rauchend und biertrinkend draussen auf der Terrasse. Meist schiebe ich mein Laster auf, bis er zu Bett geht. Ausser freitags und samstags, da dauert es mir zu lange. Taktisch geschickt hat mein Sohn mit seinem Gegenangriff auf den Mann gespielt und, alle Achtung, meine Achillessehne getroffen. «Ok, ab morgen für mich sieben Tage kein Alkohol und keine Zigaretten. Für dich keine Playstation und keine Spiele auf dem Handy. Machst Du mit?» Nikolai zweifelt zuerst an meiner Entschlossenheit. «Im Ernst?» - «Todernst», entgegne ich. «Machst du nicht mit, dann habe ich wohl nicht ganz unrecht mit meiner Benennung. Jetzt ist auch er gefordert. Sich kampflos als spielsüchtig bezeichnen zu lassen, ist für ihn zum Glück kein gangbarer Weg. «Ok, ab morgen gilt’s ernst» sagt’s, und setzt sich hinter die Playstation.
Die ersten zwei Tage haben wir dann ohne nennenswerte «Entzugserscheinungen» zurückgelegt. Nikolai sass abends mit uns unaufgefordert länger am Tisch und ich ging etwas früher ins Bett als normalerweise. Am dritten Tag erhielt ich nachmittags von Nikolai eine SMS. Habe auf dem Handy in der Mittagspause 10 Minuten gespielt, weil ich unsere Abmachung vergessen habe. Habe ich jetzt verloren? Antwort: Nein, hier gibt es keine Verlierer. Keep going! Pech gehabt Niki, es geht weiter. Am Abend meint er etwas genervt, dass es ihn dünkt, mir mache das nichts aus, dass ihn das überrasche und dass er finde, dass ich morgens auch keine Espresso mehr trinken dürfe. Und warum ich überhaupt, wennschon, nicht ganz aufhöre mit dem Rauchen und Biertrinken? «Weil ich keine Lust habe. Weil ich mich täglich auf die zwei, drei Zigaretten am Abend und das eine plus andere Bier freue.» Und vielleicht auch, weil ich noch einer der Letzten bin, die in meinem Umfeld rauchen. Wir werden alle so langweilig gleich. Mit Tattoos und guten Manieren. Es fällt mir leicht, dir das zu sagen, weil keines von euch Kindern raucht, trinkt oder andere Drogen konsumiert. Ganz ehrlich, ich hätte grosse Mühe, wenn eines von euch rauchen würde. Ich glaube, dann würde ich es sein lassen. Aber ich hoffe ich muss es nie beweisen.
Am sechsten Tag, einem Samstag, habe ich schlapp gemacht. Ich sagte Niki, dass ich am Abend ausgehen werde. «Aber nichts trinken und nichts rauchen, ok?» Nein, nicht ok, denke ich. Ich gehe fast nie aus. Und ausgerechnet heute mit einer raren Spezies, die gerne raucht, Bier und Wein trinkt. Und auf einmal werde ich selbst zum Teenager. «Lass uns doch eine Pause machen heut Abend», höre ich mich zu meinem 14-Jährigen sagen. «Und nächste Woche ab Montag dann zwei Tage dranhängen». Ich muss ihn zweimal bitten, bis er meine Steilvorlage annimmt, am Samstagabend Playstation zu spielen. Die Verlockung, mich herausfordern zu können, war gross genug für seine Abstinenz. Für meine Sucht habe ich ihn seine Vorsätze hinwerfen lassen. Am Ende habe ich einen schönen Abend verbracht, für mich wirklich schöner als mit Mineralwasser und Tee. Aber wenn ich ehrlich bin, jetzt wo ich diese Zeilen schreibe, bedaure ich, dass ich nicht angeben kann, es zu Ende gebracht zu haben. Und Nikolai ein erwachseneres Vorbild gewesen zu sein. Ich glaube, ich kriege eine zweite Chance. Es war wohl nicht unser letzter kalter Entzug.
Herzlich aus dem warmen Dakar
Waldemar Krupski