Da ist noch Luft nach oben …

„Das isch dr Hammer, geil, super Sach!“ Meine Frau Marion, Janina und Nikolai, wir alle sind begeistert vom neuen Angebot der Skiarena  Andermatt. Im Zufahrtstunnel zum Nätschen lächeln uns Bernhard Russi und Louis Van Gaal an: „Wir haben auch Eine“, werben sie. Sympathisch. Wir hätten auch gern Eine. Eine Gotthard Residence.

Wie hat sich Andermatt in den vergangenen Jahren gewandelt! Ich erinnere mich, als die Oberländer uns Unterländer das Gefühl vermittelten, sich bei ihnen bedanken zu müssen, dass wir auf dem Gemsstock skifahren dürfen. Oder als selbst weit angereiste Wintergäste abends wieder das Weite suchten, um am nächsten Tag die gleich lange Strecke wieder unter die Räder zu nehmen. Wir alle kamen alle Jahre wieder. Wegen dem Berg, selten, vielleicht auch nie, wegen der Gastfreundschaft in Andermatt. Damals gaben Kaserne und Festung genügend her. Diese dem Vaterland dienende Kundschaft war pflegeleicht und anspruchslos. Gäste brauchte Andermatt damals nicht. „Ich wischä ä schönä Tag“ sagt der Kabinenführer heute, während er die Türe der Gemsstockbahn öffnet. Und der Gast hat das Gefühl, er meint es genauso. Wer heute in Andermatt nicht verweilt ist selber schuld.  Schön, dass es dich gibt, Andermatt!  

Und trotz aller Begeisterung, es gibt Luft nach oben. Zum Glück atmen diese Luft nur die allerwenigsten Gäste ein. Marion musste sie leider einatmen. Es ist dumm gelaufen, Pech gehabt. Vielleicht war sie mit dem Testski etwas übermütig unterwegs. Der Ski bereitet ihr trotz schlechter Sicht viel Spass. „Er greift, er ist schnell und dreht schon fast alleine“, resümiert sie noch vor der letzten Talabfahrt. Der Sturz kommt aus dem Nichts. Ich ahne nichts Gutes, als Marion ohne sichtbare Regung den Hang hinunter rutscht und bin schon erleichtert als sie mein Zuruf „ghat’s?“ erwidert mit „Nein“! Bei ihr angekommen, sehe ich ihr schmerzverzerrtes Gesicht. Marion klagt über sehr starke Schmerzen in der Schulter. Der linke Arm ist regungslos.  Die sichtbaren Prellungen und der blutende Kopf spürt sie offensichtlich nicht. Ein hilfsbereiter einheimischer Skifahrer hat die Nummer vom Pistendienst gespeichert. Schnell ist der Patrouilleur zur Stelle. Ruhig und sehr kompetent wird die Situation analysiert. Wegen dichtem Nebel ist eine Bergung mit dem Helikopter unmöglich. Noch bevor Marion auf den Schlitten kommt, wird ein Krankenwagen angefordert.  „Das kann dauern, der Krankenwagen muss von Altdorf kommen,“ sagt der Patrouilleur entschuldigend. „Das Militärspital wurde aufgehoben, der Krankenwagen des Gesundheitszentrum Andermatt ist nicht verfügbar und einen Arzt auf Abruf für Skiunfälle gibt es so nicht.“ Will heissen, auch wenn Marion um ein Schmerzmittel fleht, sie muss warten bis die Ambulanz von Altdorf in Andermatt eintrifft.  Jetzt fühlen sich Minuten an wie eine Ewigkeit. An einen Transport mit dem eigenen Auto ist nicht zu denken, der Arm steht ab. Marion zittert am ganzen Körper. Bei der kleinsten Berührung von ihrem Arm schreit sie vor Schmerz.  Die Situation ist für alle schwierig auszuhalten. Und für meine Frau über eine viel zu lange Zeit eine schmerzhaft Zumutung. Nicht nur gefühlt, auch in Wirklichkeit dauert es eine Ewigkeit bis der Krankenwagen endlich eingetroffen ist.

Der Unfall ereignete sich ca. um 15.00 Uhr. Ca. um 18.30 Uhr wurde im Kantonsspital Uri die Schulter wieder eingerenkt. Dazwischen liegen 210 schmerzhafte Minuten. Das ist viel zu lange! Ich bin mir bewusst, es ist ein hoher Anspruch den ich hier geltend mache. Auch verfüge ich über keine Detailkenntnisse, warum es so ist, wie es ist. Trotzdem denke ich: Wenn Andermatt das St. Moritz von morgen sein will, sehe ich hier Handlungsbedarf.

Übrigens: Zwei Tage später zeigt das MRI, das die Schulter nicht nur ausgerenkt war, sondern auch gebrochen ist. An eine Rückkehr nach Dakar ist vorläufig nicht zu denken.  

Mit Gruss aus Dakar – Andermatt, wir kommen wieder.